Sonntag, 2. Februar 2020

GZ vom 01.02.2020: Den Hetzern kein Forum bieten


Den Hetzern kein Forum bieten

Unter dieser Überschrift veröffentlichte der Chefredakteur der Goslarschen Zeitung, Jörg Kleine, einen Kommentar am 01.02.2020 in der GZ und begann mit folgender Einleitung:

„Nein, da liegt bei einer offenbar wachsenden Schar von Menschen ein großes Missverständnis vor: Die im Grundgesetz fixierte Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass jeder alles, was ihm im Kopf herumgeht, auch sagen darf – am besten auch nicht im stillen Kämmerlein zu Hause, aber schon gar nicht auf öffentlichen Plattformen. Meinungsfreiheit endet dort, wo die Freiheit und die Menschenwürde anderer angegriffen werden, wo es diskriminierend wird, beleidigend, wo es immer stärker auch um Hass und Hetze geht. Und am Ende leider ebenso um eine Atmosphäre, die zu Brutalität und Mord führen“. 

Herr Kleine bat seine Leser, ihm ihre Meinung zu seinem Kommentar zu schreiben. Ich habe nach einiger Zeit mal wieder einen Artikel der GZ kommentiert und ihm geschrieben. Hier meine Antwort:
Sehr geehrter Herr Kleine.
Auch wenn ich das Handeln der GZ nachvollziehen kann, dazu folgende grundsätzliche Anmerkungen:

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Natürlich können alle (privaten) Medien, ob Print- oder elektronisch, für sich entscheiden, welche Statements sie in welcher Form von den Usern bzw. Lesern auf den von ihnen bereitgestellten Plattformen abdrucken und dulden wollen.

Aber sie können sich dabei nicht auf das Grundgesetz, sondern nur auf straf-, privat-, und gegebenenfalls medienrechtliche Gesetze stützen. Und sie tun natürlich gut daran, sparsam und ausgewogen mit dem Weglassen und Löschen insbesondere missliebiger Meinungsäußerungen auf den eröffneten Foren umzugehen, um ihre Leserschaft nicht zu verprellen.

Aber es liegt offenbar bei einer wachsenden Schar von Journalisten ein großes Missverständnis über den Wirkmechanismus von Grundrechten vor. Medien und Journalisten können sich nicht auf die Verletzung von Grundrechten bzw. das Grundgesetz berufen. Grundrechte sind Abwehr- und Schutzrechte der Bürger gegen Übergriffe staatlicher Institutionen und nicht etwa dazu da, den Staat oder gar die Medien vor unbequemen, kritischen oder aufmüpfigen Bürgern zu schützen.  Staatliche Organe müssen die Grundrechte der Bürger achten und nicht umgekehrt. Deshalb heißt es auch im Art.1 Abs.3 Grundgesetz: „Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht“.

Von Bürgern, die die Grundrechte einzuhalten haben, ist dort nicht die Rede. Diese haben sich an die Einhaltung der aufgrund des Grundgesetzes erlassenen Gesetze zu halten. Ob sie diese Gesetze verletzen oder nicht, haben Juristen zu prüfen und Gerichte zu entscheiden, nicht aber Journalisten und solche, die sich dafür halten (wobei das Urteil in Sachen Künast natürlich mehr als dubios ist).

Auch mit dem Angriff auf die Menschenwürde verhält es sich etwas anders, als vielfach öffentlich propagiert. Ja, Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz schützt die Würde des Menschen und bezeichnet sie als unantastbar. Aber es folgt ein Zweiter Satz, der besagt: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Es ist also Aufgabe staatlicher Institutionen, die Würde der Menschen zu achten und zu schützen und nicht von Journalisten. 
Da sich das deutsche Volk zu den unverletzlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft bekennt (Art.1 Abs.2 GG) lässt sich daraus die Frage ableiten, ob die Menschen gegenseitig ihre Würde zu achten haben. Ja. In einer funktionierenden Gesellschaft, ist das unbedingt erforderlich. Aber das ist kein strafrechtliches Problem, sondern eine Frage von Anstand, Sitte und Moral und damit einer breiten Palette individueller Anschauungen.

Erst wenn die Missachtung der Würde des Gegenüber strafrechtliche Grenzen der (persönlichen) Beleidigung, Verleumdung, Üblen Nachrede oder Volksverhetzung etc. überschreitet, ist eine strafrechtliche Verfolgung geboten. Aber darüber entscheiden, wie schon gesagt, Juristen und Gerichte und keine selbsternannten Tugendwächter.

Und nun zur „Freien Meinungsäußerung“.

Art 5 Abs. 1 GG: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten.... Abs.2: Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“

Auch dieses ist ein Schutzrecht des Bürgers vor staatlichen Eingriffen und Zensur, nicht aber ein Schutzrecht von Medien vor kritischen oder unliebsamen Kommentaren, sofern diese nicht gesetzliche Bestimmungen im vorstehenden Sinne, insbesondere die persönliche Ehre eines Einzelnen, verletzen.

In obiger Einleitung wird zur Meinungsfreiheit einiges vermischt. Natürlich kann jeder das, was ihm im Kopf herumgeht, und sei es der größte „Blödsinn“, auch sagen und schreiben, sogar öffentlich und auf Plattformen, vorausgesetzt, er denkt vorher darüber nach, wie er es sagt und schreibt. 
Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 12. Mai 2009 klargestellt, dass die durch Art.5 GG geschützte freie Meinungsäußerung durch die subjektive Einstellung des sich Äußerden gekennzeichnet ist. Sie enthält regelmäßig Urteile über Sachverhalte, Ideen oder Personen. Dazu zählt unter Umständen auch eine inkriminierende Äußerung wie ein Staatsanwalt sei „durchgeknallt“, auch wenn sie als ehrverletzend empfunden wird. 
Eine Aussage, die polemisch oder verletzend formuliert ist, fällt auch dann unter das Recht der freien Meinungsäußerung, solange diese nicht für private Auseinandersetzungen missbraucht, sondern in erster Linie sachbezogen zu öffentlich berührenden Fragen geäußert wird. 
In der öffentlichen Auseinandersetzung, insbesondere im politischen Meinungskampf, müsse daher auch Kritik hingenommen werden, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, weil andernfalls die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses drohe.
Fazit:
Ein durchgeknallter Journalist schrieb... (keine Beleidigung da erlaubte Schmähkritik)
Der durchgeknallte Journalist XY hat seinen Beruf verfehlt, weil er schreibt.... (Beleidigung, da persönliche Diffamierung)
 

Allerdings verfügen immer weniger Menschen aus bildungspolitischen Gründen über die Fähigkeit, sich dementsprechend zu artikulieren und sich bei unsinnigen, kritischen oder auch abwertenden Positionen so auszudrücken, dass sie sich eventuell moralisch, aber nicht rechtlich angreifbar machen. Wahrscheinlich wäre es angebracht, dieses bei der Einordnung von Beiträgen stärker zu berücksichtigen, ohne bei kleinlicher Auslegung weniger Geübte von Diskussionen auszuschließen.

Wenn man die Kommentar-Foren und Blogs der E-Medien verfolgt, kann man verstehen, dass viele Journalisten der praktizierten Form kritischer Meinungsäußerungen ablehnend begegnen. Ihnen geht zunehmend das früher so angenehme Meinungsmonopol verloren. Wie sagte doch Petra Gerster bedauernd in den ZDF-HEUTE-NACHRICHTEN: "Sich öffentlich zu äußern. das war früher Politikern und Journalisten vorbehalten. Heute kann das jeder über die sozialen Medien“. Ja, zum Glück. Früher konnte man lediglich Leserbriefe schreiben, die erst in Redaktionen selektiv bewertet, ausgewählt und dann entweder (häufig erst nach Tagen) gedruckt, gekürzt oder gar nicht veröffentlicht wurden. Heute geht das auf Knopfdruck und das führt in den Medienhäusern zunehmend zu Nervosität.

Deswegen scheint es sich unter Medienschaffenden eingebürgert zu haben, bei jeder sich bietenden Gelegenheit die "Populismus-" oder „Nazikeule“ zu schwingen oder missliebige Äußerungen mit dem Totschlagargument von „Hass und Hetze“ abzubügeln und dabei zu unterstellen, dass einige Meinungsäußerungen geeignet sein könnten, eine Atmosphäre zu schaffen, die zu Brutalität und Mord führen.
Dabei wird leider übersehen, dass genau derartige Unterstellungen zu einer Vergiftung einer Atmosphäre beitragen können.

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