Mittwoch, 6. November 2013

Stress lass nach

Andreas Rietschels Logbuch vom 02.11.2013
Für all und jedes gibt es in Deutschland eine Studie, einen Test. Während fast alle Medien gebetsmühlenhaft und mit fast gleichem Wortlaut eine DPA-Meldung zum Stresstest der Technikerkrankasse abgedruckt haben, versucht Herr Rietschel in begrüßenswerter Weise, diese Studie ein wenig zu hinterfragen.
   Herrn Rietschel ist zuzustimmen, dass das Wort Stress ein Modewort geworden ist, das heute zu jedermanns Sprachgebrauch geworden ist. Mit seiner Aussage: „Wer keinen Stress hat, kann auch nicht wichtig sein...“ trifft er den Nagel auf den Kopf. Stress ist häufig etwas subjektiv Empfundenes und teils hausgemacht. Auch ist richtig, wenn Rietschel feststellt, dass schon Platon mit „Erkenne dich selbst“ ein Wissen meinte, dass davor schützt, sich zu überschätzen und zu überfordern und nichts unglücklicher mache, als einem Anspruch hinterher zu hetzen, den man nie und nimmer erfüllen könne.
   Zumeist wird der Job als Hauptursache angeführt. Doch wäre es zu einfach, die Gründe allein in der Beschleunigung von Arbeitsprozessen oder der Gratwanderung zwischen Karriere und Familie zu suchen. Zu hohe Erwartungen an die eigene Person, übertriebener Perfektionismus, das Gefühl, überall dabei sein zu müssen und der Verlust der Fähigkeit, sich auf das Wesentliche zu besinnen - das alles stresst zusätzlich. Das Wort Burn-out mag englisch sein, das Phänomen ist vor allem ein deutsches. Wer sich überfordert fühlt, lässt sich gegen Burn-Out behandeln und wer sich unterfordert fühlt gegen Bore-Out (von engl. Boredom – deutsch: Langeweile) . In fast jeder Normalität steckt heute ein diagnostizierbares Krankheitsbild. In der Psychiatrie alles eine Frage der Definition.
   Prüfungsangst ist Krankheit. Wer mehr als zwei Wochen trauert, ist krank. Jedem lebhaften Kind wird ADHS nachgesagt, jedem faulen kann bei Bedarf Legasthenie oder Dyskalkulie (Rechenschwäche) bescheinigt werden. Die Trotzphase avanciert leicht zur „grob gemusterten Launenfehlregulations­störung“. Auch wer schüchtern ist, könnte krank sein. Wer leicht mal was vergisst, hat eine Aufmerksamkeitsstörung. Wer Alltagssorgen hat, ist depressiv. Einer von achtzig Menschen gilt als Autist.
   Deutschland im Stresstest, das ergibt aber auch eine überraschende Einfärbung der Landkarte. Der Norden kühl-blau, der Osten genervt-gelb und der Süden hektisch-rot. Nicht umsonst gibt es die Bierwerbung, in der im hohen Norden alte Männer zusammensitzen und gemütlich den Bügelverschluss ihrer Bierflasche ploppen lassen – nur keine Hektik bitte.
Den Stress bekämpft man am besten, wenn man Studien und Berichte über Stress nicht zur Kenntnis nimmt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen