Montag, 9. Januar 2012

Wulff

Man fasst sich an den Kopf, dass es in den Medien inzwischen über Wochen kein anderes Thema mehr zu geben scheint, als Christian Wulff.
   Interessant, weil gegen den Strich,  sind die Kolumnen von Jan Fleischauer in Spiegel Online zu diesem Thema. Hier ein paar Auszüge:

Unheimliche Verfolger
   Im normalen journalistischen Leben kommt es häufiger vor, dass Leute ungehalten reagieren, wenn eine Recherche Unangenehmes zu Tage fördert. Oder glaubt jemand ernsthaft, dass Machtmenschen wie Helmut Kohl oder Gerhard Schröder in ihrer Amtszeit nie versucht hätten, auf eine ihnen unliebsame Geschichte Einfluss zu nehmen? Es ist die Aufgabe von Chefredakteuren, diesem Druck zu widerstehen, dafür werden sie bezahlt. Die wirklich guten nehmen solche          Einschüchterungsversuche zum Anlass, bei der Veröffentlichung erst recht aufs Tempo zu drücken. Nach allem, was man weiß, gehört Diekmann dazu, das zeichnet ihn aus.
   Auch nach wochenlanger Dauerberichterstattung ist der Rückhalt für Wulff in der Bevölkerung immer noch erstaunlich hoch.   Aber die wollte wahrscheinlich auch nicht, dass in den Redaktionsetagen der Republik darüber entschieden wird, wie lange jemand im Schloss Bellevue residieren darf und wann es Zeit für einen Rücktritt ist.
   Die beste Chance für Wulff ist nach Lage der Dinge, wenn das Publikum die Auseinandersetzung um seine kleineren und größeren Vorteilsnahmen als Machtkampf mit den Medien wahrnimmt. In Kommentaren wird gerne die Öffentlichkeit bemüht, die angeblich dies oder jenes erwartet, das soll den eigenen Worten mehr Gewicht verleihen. Aber die meisten Menschen haben gut in Erinnerung, was sie selbst gefordert haben. Nur weil jemand eine Zeitung kauft, bedeutet das noch nicht, dass er ihr das Mandat gegeben hätte, in seinem Namen zu sprechen, auch wenn einige der im Meinungsgeschäft Tätigen das so sehen möchten.
   Jeder Chefredakteur eines mittelmäßigen Provinzblatts in Deutschland kann jetzt einmal den furchtlosen Ankläger spielen. Selbst im "Schwarzwälder Boten" findet man in diesen Tagen donnernde Leitartikel, die den Bundespräsidenten aufs Korn nehmen.

Vor den Gerichtshöfen der Moral
    Ja, Christian Wulff hat einen schrecklichen Fehler begangen. Er hat sich von einem langjährigen Freund Geld geliehen und das anschließend als seine Privatsache betrachtet. Das reicht in der Politik, um vor dem Moral-Standgericht zu landen. Die Schnellgerichtsbarkeit ist in Deutschland seit längerem aus der Mode, außer bei Tugendvergehen. Da liegen Anklage und Urteilsfindung in einer Hand, was das Verfahren ungemein beschleunigt.
   Bislang ist nicht klar, gegen welches Gesetz Christian Wulff verstoßen haben soll. Formal sei ihm kein Vorwurf zu machen, war der erste Befund; sein Verhalten sei zwar juristisch wohl nicht anfechtbar, dafür aber moralisch. Das ist allerdings ein Vorwurf, gegen den sich nur schwer eine Verteidigung aufbauen lässt. Wie sollte diese aussehen? Die moralischen Normen, für deren Übertretung sich der Präsident verantworten muss, sind nirgendwo kodifiziert. Tatsächlich wird, wer sich für Fassbareres interessiert, auf das nötige "Gespür" für die Erfordernisse die Amtes verwiesen, ein "Gefühl", für das, was sich als Politiker gehöre und was nicht. Für solche Kategorien sind normalerweise Tugendwächter zuständig, keine Richter.
    Als das Ehepaar Wulff in der Villa des Finanzunternehmers Carsten Maschmeyer den Urlaub verbrachte, machte sich die Empörung an den Größe des Anwesens fest. Aber was wäre ein Reisearrangement, das keinen Unwillen mehr erregt? Fünf Tage im Drei-Zimmer-Appartement ohne Pool in El Arenal? Und wer erteilt die Genehmigung? Plasberg, Prantl, der Bewährungsausschuss der "Zeit"?

   Das Beängstigende an dieser Art Moraljagd ist das Willkürliche. Wo jede Strafprozessordnung suspendiert ist, sind vor Gericht auch nicht mehr alle gleich. Welches Vergehen zur Verhandlung kommt, hängt an der Laune der Ankläger - und die wiederum nicht selten an der politischen Provenienz des Angeklagten. Dieselbe Frau Nahles, die nun Wulffs Verhalten ganz "unerträglich" findet, hatte umgekehrt keinerlei Einwände, als sich der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck eine Geburtstagssause aus Gebührengeldern des ZDF sponsern ließ.
   Wer in dieser Welt überleben will, in der einen schon ein falsch quittierter Dienstwagenkilometer zu Fall bringen kann, muss entweder ein Frömmler sein oder ein Eunuch. Bei anderer Gelegenheit werden wir dann wieder lesen, dass es den Politikern heute an Saft und Kraft fehlt. Aber was sollte jemanden mit attraktiven Berufsalternativen veranlassen, sich in ein Arbeitsfeld zu begeben, wo einen jederzeit Leute in Verruf bringen können, die ihrerseits völlig unbelangbar sind. Ein Franz Josef Strauß hätte es unter den herrschenden Moralnormen nicht einmal zum Kreisvorsitzenden gebracht. Wer das als Fortschritt betrachtet, sollte sich auch nicht beklagen, wenn seine Abgeordneten dann wie Buchhalter reden.
   Viel wird jetzt aus dem Umstand gemacht, dass Wulff vor dem Landtag in Niedersachsen nicht die volle Wahrheit gesagt hat. Aber was bedeutet das schon? Keinen der Abgeordneten, die in Hannover nach den geschäftlichen Verbindungen ihres Ministerpräsidenten fragten, trieb die Sorge um das Land; es ging darum, Wulff in Schwierigkeiten zu bringen. Das ist das gute Recht der Opposition, so ist Politik. Umgekehrt kann man aber von dem derart Bedrängten nicht verlangen, dass er den Gegnern die Argumente frei Haus liefert, an denen sie ihn dann aufzuknüpfen trachten. Es gibt auch im politischen Betrieb keine Verpflichtung zur Schafsköpfigkeit.
   Wer von Politikern unbedingte Wahrheitsliebe fordert, ist entweder grenzenlos naiv - oder sieht absichtsvoll von den Bedingungen dieses Geschäftes ab. Wulffs Erklärung nutzte den Raum zwischen wahrheitsgemäßem Eingeständnis und kunstvoller Auslassung. Man kann das schlitzohrig finden, auch über die Maßen trickreich, aber all das begründet noch keinen Straftatbestand.

Hier die Kolumnen: Unheimliche Verfolger - Gerichtshöfe der Moral

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